Kommunikation 4.0

Die Herausforderungen von Kommunikation 4.0

Heute Morgen, Sonntag, 7.9.2014  9:00 Zoobrücke am Rhein.

Ich wollte die Straße überqueren. Um auf linker Rheinseite meine 40 km Tour mit dem Rad zu bestreiten. Köln Triathlon. Straßen gesperrt wie fast jeden Sonntag. Ein freundlicher lächelnder Streckenposten half gestisch, mimisch, und sehr freundlich lächelnd. Kein LAUT!

Dann kamen mir die unterschiedlichsten Menschen entgegen: Jogger, Spaziergänger, Radfahrer: Die meisten hatten Knöpfe im Ohr. Waren eigentlich woanders. Sie hörten Sendungen. Oder den Reiseführer, der am Rhein einer japanischen Reisegruppe die römische Geschichte von Köln den Touristen ins Ohr rief. Er sendete laut.

Genau wie die beiden Gäste in meinem Lieblingsitaliener „Fioretto“ . Freitagmittag. Ein Pärchen sich gegenübersitzend, draußen, sprachen nicht sondern gaben laute Anweisungen an irgendwelche Adressaten. Ein Klient und ich konnten uns fast nicht verstehen, so laut skandierten die beiden.

Ich fuhr weiter. Da lief mir ein Jogger tief versunken ins Netz mit Strippen am Ohr auf meiner Seite entgegen. Ich rief laut:

„Nach vorne bewegen immer rechts!“

Er wachte kurz auf wie in Trance und lief auf meiner Seite weiter.

Ich hatte mal als Erstklässler gelernt, das man immer rechts fährt oder geht. War das nicht so?

Morgens am Airport. Kann man sie wieder sehen. Die meisten mit Antennen in den Ohren oder Klappern auf dem Laptop. Im ICE das Gleiche. Alle senden in einem fort. Dann in der S-Bahn von München in die Innenstadt. Junge Mädchen mit Knöpfen in den Ohren rattern wie von Geisterhand übers Display und senden in alle Welt. An Straßen laufen Menschen dann schlafwandlerisch und senden oft beidhändig. Nehmen eigentlich nur peripher den fließenden Verkehr wahr. Hier wiederum sitzen immer mehr Menschen am Steuer mit Handy und „versenden“ mobil Mobilität bis zur nächsten Leitplanke.

Alles sendet. Menschen senden pausenlos ihr Essen, ihren Weg, ihre Befindlichkeit, ihre Meinung, ihr Äußeres und ihre Unberührtheit.

Jeder ist sein eigenes Selfie, koste es was es wolle. Erst haben es die Boulevard Medien übernommen, jetzt auch seriöse Online-Formate.

„Sendungen ohne Wiederkehr“

nannte sie ein bedeutender Schriftsteller, Sendungen ohne Hintergrund, Sendungen linear, konisch über den blauen Planeten. Hauptsache mein Selfie findet seinen Weg nach außen. Die ersten Selfie-Wettbewerbe laufen in Urlaubsorten.

Was heißt das jetzt fürs Arbeitsleben? u.a.

Menschen senden sich an! Menschen tauschen ihre festen Meinungen aus: Kommunikationswissenschaftler sprechen von Ich-Projektionen. Menschen verlernen miteinander wirklich zu sprechen. Sich zu VER-STEHEN. Sich wirklich Kennen-ZU-Lernen! Menschen verlernen sich selbst zu erkennen. Sich zu reflektieren, sich zu hinter-Fragen:

Der „synästhetische Selbstbedienungsladen“ ist weit geöffnet. Das Zentralnervensystem wird dabei zur zweiten Außenhaut. Mitarbeiter hängen während der Arbeit an dem zur  Droge gewordenen Handy. Das Handy ist jetzt knapp 20 Jahre alt. Google wurde 1998 gegründet. Stars versenden Ihre Nacktheit in Clouds, Lehrer lehren Google-Informationen.

Peter sendet Anne  im Nebenbüro eine Mail und setzt 24 weitere Informanten in cc. Er greift nicht zum Hörer und geht einfach mal nach nebenan. Ich bin ein Selfie. Das ist wichtig. Eine Rück-Meldung gibt es nicht. Was ist eigentlich eine Rück-Meldung. Neuhochdeutsch: Feedback?

3 Milliarden Emails werden sekündlich  versendet. Weltweit. SMS oder WhatsApp-Signale gehen in zweistellige Milliarden-Summen.

Ich bin da, weil ich sende! Was sonst?

Ein Vertriebschef eines mittelständischen Unternehmens berichtete mir, dass sich auf ein Stellengesuch ein junger Mann beworben habe: Er hatte alle Zeugnisse, die man sich vorstellen kann: Bachelor, Master, Zusatzprüfungen. Perfekt. Nach der Frage, ob er etwas zum Unternehmen sagen könne, bei dem er sich beworben habe, antwortete  der junge Mann: „Dazu bin ich noch nicht gekommen.“ Antwort des VC: „Vielen Dank für das Gespräch. Alles Gute für die Zukunft.“

Wir sind angekommen in einer neuen Zeit: Die der „Fast- Kommunikation“.

Was können wir für Rück-Schlüsse aus der Entwicklung ziehen…?

  • In erster Linie Selbstgespräche führen. Sich selbst proaktiv kennen lernen. Mit sich selbst auseinandersetzen. Auch lautes Sprechen hilft beim Walken, Radfahren oder Auf-Rolltreppen-Fahren. Das ist gut möglich, da mögliche Mitreisende oder Passanten es nicht merken. Den Test habe ich heute gemacht. Als ich über diesen BLOG-Beitrag nachdachte. Ich sprach laut mit mir selbst – keiner merkte es oder dachte, ich würde telefonieren. Dafür bereite ich 2015 Trainings vor:„Wie kann ich mich über Selbstgespräche mit mir selbst vertraut und verständlich machen?“

    Um daraus dann eine Interaktion zu machen und aufhören zu senden. Denn die Losung heißt: Erst verstehen und dann verstanden werden! Übungen auf dem Rad, beim Walken und daheim vor dem Spiegel.

  • Einfach mal die Bäckereifachverkäuferin, den Tankstellenbesitzer, den Einkaufsleiter eines Marktes etwas ganz anderes fragen und in einen kurzen Dialog treten. Oder wie ich heute auf der Radtour am Rhein: Absteigen kurz vor der Fähre in Weiß. Da saß ein Angler am Fluss. Rad kurz abgestellt und runter: Hab ihn gefragt nach der Sauberkeit des Rheins. Er schwärmte von der Qualität, berichtete, dass Aale, Hechte, Brassen, Rotfedern, Zander wieder im Rhein seien und die Artenvielfalt immens. Dann erklärte er mir wie man heute professionell angelt und berichtete wie das Rheinwasser mit Grundwasser vermischt wird, um es dann als Trinkwasser in die Haushalte zu speisen. Interessant. Er war eigentlich Wasser,- und Fischexperte. Setzt die Fische nach dem Angeln wieder zurück ins Wasser. Zum Schluss rief er mir hinterher im Zeitalter der quartalsgesteuerten Ergebnisse der Fast-Kommunikation:„Ihr alle braucht viel mehr Geduld.“
  • Versuchen Sie vom Auto auf den ICE umzusteigen und vorerst nur noch Speisewagen zu fahren. Hier kann man nach Herzenslust mit den Mitfahrern „interagieren lernen“.
  • Oder lernen Sie mehr mit Gestik und Mimik und ausdrucksstarken Sinnesreizen umzugehen. Setzen Sie die Hände, die Arme ein. Malen Sie Gegenstände in die Luft. Bringen Sie sich ein mit den Möglichkeiten von Lippen, Augen, Stirnstretching. Nehmen Sie dafür auch die ausdrucksstarken Hände zu Hilfe.  Das kann helfen im Zeitalter von Kommunikation 4.0. Ich melde mich jetzt zu einem Kurs Gebärdensprache an.
  • In allererster Linie scheint mir jedoch wichtig, sich wirklich selbst zu ergründen und zu verstehen. Friedrich Schulz v. Thun sagt in seinem neuen Buch: „Kommunikation als Lebenskunst“:

    „Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser.“

    Das ist auch dringend angeraten, sonst kommen wir nicht aus der eindimensionalen Sendemission der Selfie-Gesellschaft heraus.  Negative Vorbildfunktion dafür scheint unser Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann zu sein, der im Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 6.9.2014 zu seinem Engagement im privaten Fernsehen sagt:

    „Ich konkurriere nur mit mir selbst.“

    Der Streckenposten am Morgen übrigens war ein sehr freundlicher Ausländer, der die Gebärdensprache perfekt beherrschte.